Vergessenes Erbe

wochenblatt.pl 3 godzin temu

Ein Schloss, das nach Warschau fuhr

Ich liebe es, im Sommer kleine schlesische Städtchen zu erkunden – dort, wo das Leben träge auf dem kleinen Marktplatz dahinplätschert, gleich neben dem örtlichen Żabka-Laden. In eben jenem bekommt man rund um die Uhr eine Flasche Wasser, und dann kann man – im Schatten der Häuser versteckt – einfach losziehen. Meist führen mich meine Schritte zuerst zur Pfarrkirche – denn dort fängt doch irgendwie alles an.

Vom Schloss blieben nur Fragmente übrig: Teile von Säulen, Treppen.
Foto: A. Durecka

Ein Sommersonntag in Schurgast

Letztes Wochenende wählte ich also ein Ziel auf der Karte: eine Stadt, die sich jedoch schnell als Dorf entpuppte. Die Mietshäuser entlang der Hauptstraße und der Platz, der stark an einen Markt erinnerte, hatten mich in die Irre geführt. Dazu ein großer Park mit altem Baumbestand. Tatsächlich ist Schurgast erst seit 1945 offiziell ein Dorf – vorher war es eine Stadt, schon vor 1271 nach polnischem Recht lokiert.

Vergeblich suchte ich nach Ruinen des Schlosses unter den mächtigen Bäumen. Auf einer Tafel las ich, dass das Schloss nach dem Krieg in Einzelteilen nach Warschau „abtransportiert“ wurde – zum Wiederaufbau der Hauptstadt. In Schurgast blieben nur riesige Fragmente von Säulen, Mauerteilen und vielleicht auch Treppen – fantasievoll im Park verteilt.

Das ehemalige Schloss-Nebengebäude ist unversehrt.
Foto: A. Durecka

Doch dazu später. Erst ging ich zur Kirche – natürlich verschlossen, obwohl es Sonntagnachmittag war. Laut Informationstafel handelte es sich um die Kirche St. Jakobus des Älteren, erbaut 1852, im Krieg beschädigt und danach wiederaufgebaut. Der hohe, spitze Turm ist – nebenbei bemerkt – von überall in Schurgast zu sehen. Ein perfekter Orientierungspunkt.

Ein zweiter ist der Wasserturm – den ich jedoch auch nicht betreten konnte. Dafür umrundete ich auf Kopfsteinpflaster das Areal des ehemaligen Gutshofs, der heute in Privatwohnungen umgewandelt ist. Die Wege führten mich schließlich in den schon erwähnten Park. Dort stehen zwei gewaltige Platanen – Naturdenkmäler, die sicher noch die Zeiten des Schlosses und seiner Besitzer erlebt haben.

In den ehemaligen Gutshofgebäuden befinden sich heute private Wohnungen.
Foto: A.Durecka

Bekannt, adlig und wohlhabend

Die wichtigsten Besitzer des Guts gehörten zu zwei renommierten schlesischen Adelsgeschlechtern. 1874 gelangte das Anwesen in den Besitz der Schaffgotsch, später – durch Heirat – 1892 an die Grafen von Kerssenbrock. Letztere dachten groß: 1910 ließen sie in Schurgast ein repräsentatives Schloss errichten. Den Entwurf gaben sie bei bekannten Breslauer Architekten – Alfred Böttcher und Richard Gaze – in Auftrag. Das Ergebnis: eine dreistöckige Residenz, die ein Vermögen kostete – zwei Millionen Mark! So groß war sie, dass bei Jagdgesellschaften bis zu 300 Gäste Platz fanden.

An einem Sonntagnachmittag kommt man in die Kirche nicht hinein.
Foto: A. Durecka

Doch die Wirtschaftskrise der 1930er zwang die Grafen, in eine bescheidenere Villa umzuziehen (heute ein Kinderheim). Das Schloss übergaben sie den Missionaren von Mariannhill, die ein Priesterseminar einrichteten. 1940 schlossen die Nationalsozialisten es jedoch und nutzten das Gebäude zuerst als Durchgangslager für Umsiedler, später als SS-Lazarett.

Die Farbe der Fassade verschlägt einem den Atem – vor Schreck.
Foto: A. Durecka

1945, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee, floh die Adelsfamilie. Das Schloss wurde durch Artillerie beschädigt. Nach dem Krieg entschied der Staat – trotz Rettungsversuchen – über den Abriss. Die Steine der Residenz wurden zum Wiederaufbau Warschaus verwendet. Geblieben sind nur das ehemalige Wirtschaftsgebäude und einige verstreute Steinblöcke im Park – auf die ich selbst gestoßen bin.

Am Marktplatz sind noch einige alte Bürgerhäuser erhalten.
Foto: A. Durecka

Ein charmantes Durcheinander

Schurgast ist eine malerische Mischung aus Architekturstilen, Farben und wilder, ungezähmter Natur. Vom schlesischen Perfektionismus – Rasen wie Teppiche oder gerade getrimmten Bäumchen – ist hier wenig zu sehen. Keine zwei Zäune gleichen sich.
Das Herz eines jeden Schlesiers blutet beim Anblick zerbrochener Möbel und Müll unter einer ehrwürdigen Eiche – direkt neben einer sonst wunderschönen Villa, leider in grellem Neongrün gestrichen. Die Wege schlängeln sich durch kopfhohe Brennnesseln, über Stege, unter denen ein graubrauner Kanal – oder eher Bächlein – langsam Richtung Glatzer Neisse fließt. Ich möchte lieber nicht wissen, was da alles mitschwimmt.

„Vom schlesischen Perfektionismus – Rasen wie Teppiche oder gerade getrimmte Bäumchen – ist hier wenig zu sehen. In Schurgast gleicht kein Zaun dem anderen.“

Und doch liegt an diesem Tag der Duft von frischem Hefekuchen in der Luft – als würde gleich um die Ecke Streuselkuchen serviert. Die örtliche Bäckerei – gleich beim Markt – hat tatsächlich geöffnet. Sogar am Sonntag. Bis 22 Uhr! Immer wieder verlässt jemand mit duftendem Paket das Geschäft. Ich folge – und lasse mich von einem sündhaft großen Quark-Hefestück verführen. Himmlisch!

Auf dem Friedhof gibt es noch ein paar Gräber der früheren Schlossbesitzer von Schurgast.
Foto: A. Durecka

Der Friedhof – wo alles endet

Auch in Schurgast. „Als ich vor 47 Jahren hierher kam, gab es diesen Teil des Friedhofs noch gar nicht. Nur dort drüben waren Gräber“, erzählt eine ältere Frau (vermutlich ihrer Tochter) und zeigt auf einige alte Grabsteine.

Im Park wachsen riesige Platane
Foto: A. Durecka

Ich begebe mich also dorthin. Ich finde das Grab des im Ersten Weltkrieg gefallenen Grafen Ferdinand Franz Xaver Otto Johannes Maria von Korff – was für ein Name – sowie das Familiengrab aus dem 19. Jahrhundert. Auch das Grab von Graf Kaspar von Korff (1852–1928) und Gräfin Elisabeth Schaffgotsch (1862–1952, Tochter der Schaffgotsch aus Koppitz), geschmückt mit einer schönen Pietà. Auf dem Friedhof gibt es noch einige alte Gräber, doch die Inschriften sind kaum mehr lesbar.
Ich kehre also zurück zum Markt. Ein weiterer zufriedener Kunde verlässt die Bäckerei. Vor Żabka versammelt sich die Dorfjugend. Ein Augustsonntag in Schurgast neigt sich dem Ende.

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