Neben Kirchen prägten Rathäuser die mittelalterlichen Marktplätze. Auch in Brieg war das nicht anders. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Rathäusern in Schlesien hat Brieg Glück gehabt: Die zahlreichen Kriege der letzten Jahrhunderte überdauerte das Rathaus fast unbeschädigt und zeugt bis heute vom Reichtum der einstigen Residenzstadt Brieg. Es begeistert mit seiner Mischung aus Renaissance- und Rokokoarchitektur.
Mittelalter
Die Ursprünge von Brieg vor der Verleihung der Stadtrechte sind zwar nicht überliefert, aber weshalb genau hier an der Oder gesiedelt wurde, kann als gesichert angesehen werden. Die strategisch günstige Lage an wichtigen Handelswegen (u.a. der sogenannten Via Regia) erleichterte im Mittelalter den Handel und zog Handwerker an. Dies erkannte auch der Herzog von Schlesien-Breslau aus der Piastendynastie, Heinrich III., der Brieg im Rahmen der Ostkolonisation die Stadtrechte verlieh. Damit direkt verbunden ist der Bau eines Rathauses, das der Stadtverwaltung diente, aber auch als Gericht und wichtiger Handelsort fungierte. Urkundlich wurde das Rathaus in Brieg erstmals 1358 erwähnt. Dies war jedoch ein gotischer Vorgängerbau, der bei einem verheerenden Stadtbrand 1569 zerstört wurde.

Foto: Martin Wycisk
Italienische Renaissance…
Brieg war zur Zeit des Stadtbrandes eine prosperierende und wohlhabende Stadt. Dies lag unter anderem daran, dass sie seit 1311 als Residenz für die Herzöge von Brieg, Liegnitz-Brieg und Liegnitz-Brieg-Wohlau diente. Entsprechend gab es schon vor dem Stadtbrand Überlegungen für einen Neubau des Rathauses. In Brieg lebte zu dieser Zeit eine große Künstlerkolonie aus Italien, welche die Renaissance nach Schlesien brachte. Deshalb überrascht es nicht, dass Herzog Georg II. den Auftrag für den Neubau des Rathauses an zwei einheimische Italiener vergab: Jacobo de Parrio (auch Jakob Pahr genannt) und Bernardo Niuron. Diese sind insbesondere für das äußere Erscheinungsbild des Brieger Rathauses verantwortlich, wie wir es heute kennen – dessen Hauptfassade sich auf der Westseite befindet und von zwei quadratischen Treppenrisaliten in Form von Türmen flankiert wird. Zwischen ihnen liegen zweigeschossige Loggien mit Rundbogenarkaden im Erdgeschoss. Das Erdgeschoss ist zudem mit toskanischen Säulen und Holzstützen versehen. Das Satteldach des Gebäudes besitzt reich verzierte Giebel an der Nord- und Südseite sowie drei Zwerchgiebel an der Hauptfassade. Die Eingänge zum Rathaus sind mit reich verzierten Renaissanceportalen gestaltet.

Foto: Martin Wycisk
Das Rathaus wurde – wie auch andere Gebäude – im Laufe der Zeit nach dem jeweils aktuellen Geschmack renoviert. Aus dieser Zeit ist im großen Sitzungssaal im Obergeschoss sogar eine Lärchenholzdecke aus dem Jahr 1648 erhalten. Für die Instandhaltung und Modernisierungen standen ab 1675 jedoch weniger Mittel zur Verfügung. Mit dem Aussterben der schlesischen Piasten fiel die Stadt an das Habsburgerreich und verlor ihren Status als Residenzstadt.
„Heute ist das Brieger Rathaus das einzige Renaissancerathaus in Schlesien, das unbeschädigt die Jahrhunderte überdauert hat.“
… und preußischer Rokoko
Größere architektonische Eingriffe in das Rathaus waren mit der neuen politischen Lage der Region verbunden. Im Rahmen des Ersten Schlesischen Krieges (1740–42) eroberte das Königreich Preußen Brieg und den größten Teil Schlesiens. Die bisher relativ autonome Stadtverwaltung wurde durch zentralistisch geprägte preußische Behörden ersetzt. Damit wuchs auch der örtliche Beamtenapparat, der die innere Saalaufteilung des Brieger Rathauses an seine Bedürfnisse anpasste. Damit verbunden war der Umbau des Ratssaales in den Jahren 1742–46 im Stile des frühen Rokoko. Der Saal erhielt nicht nur repräsentative Decken- und Wandverzierungen, sondern auch reichlich dekorierte Aktenschränke. Letztere wurden vom Brieger Tischler Hans Gewerike hergestellt, während für die malerischen Dekorationen Johann Sebastian Neuberth und Karl Friedrich Eylich verantwortlich waren. Diese Dekorationen waren nicht nur dekorativ: Die allegorischen Darstellungen sollten den neuen Untertanen klar kommunizieren, dass nun Preußen Schlesien regiert. Es ist ein historischer Glücksfall, dass wir den Saal heute in fast originalem Zustand bewundern können, denn nur die Porträts der Hohenzollern-Könige gelten seit 1945 als verschollen. Erhalten geblieben ist hingegen der preußische Adler.

Foto: Martin Wycisk
Ein schlesisches Unikat
Wie in den vorherigen Epochen wurde auch im 18. und 19. Jahrhundert das Rathaus zeitgenössisch renoviert. So verlor es zwar seine Sgraffitodekorationen an den Außenwänden, erhielt aber ein Denkmal Friedrichs des Großen sowie ein mechanisches Uhrwerk für den Rathausturm. Davon ist nur letzteres erhalten. In der Zwischenkriegszeit war den Bauherren die historische Bedeutung des Rathauses bewusst, was sie jedoch nicht von weiteren Modernisierungen im Inneren abhielt – unter anderem eine moderne Heizung im Jahr 1934. Es ist jedoch zu erwähnen, dass nicht alle Pläne umgesetzt wurden.

Foto: Marcin Wycisk
Den Zweiten Weltkrieg überstand das Brieger Rathaus de facto unbeschädigt und wurde schnell wieder genutzt, wobei die kleinen Schäden behoben wurden. Der Zustand verschlechterte sich jedoch in den 1950er Jahren wieder. Mit der Anerkennung als Baudenkmal begann ein langjähriger Restaurierungsprozess, der bis 1989 andauerte. Zwischen 2012 und 2020 wurde das Brieger Rathaus umfassend saniert. Dabei wurden zwei Zeitkapseln aus den Jahren 1798 und 1822 gefunden, deren Inhalte heute im Rathaus ausgestellt sind. Ebenfalls wurde das Sgraffito wiederhergestellt.

Foto: Marcin Wycisk
Heute ist das Brieger Rathaus das einzige Renaissancerathaus in Schlesien, das unbeschädigt die Jahrhunderte überdauert hat. Die Stadt Brieg ist sich der historischen Bedeutung bewusst. Umso lobenswerter ist es, dass das Rathaus im Rahmen einer Führung kostenfrei besichtigt werden kann. Eine telefonische Voranmeldung wird empfohlen. Freunden der Architektur und der schlesischen Geschichte kann ein Besuch im Brieger Rathaus nur empfohlen werden.