Das außergewöhnliche Leben der Renate Zajączkowska

wochenblatt.pl 1 dzień temu

„Ich habe sogar Deutsch geträumt“

Wenn man heute ihre Wohnung in Breslau betritt, hängen an den Wänden Fotos mit Kanzlerin Merkel und Präsident Steinmeier – doch die Geschichte von Renate Zajączkowska beginnt in einem ganz anderen Bild: in einem vom Krieg zerrissenen Gleiwitz. Aus diesem Kind von damals wurde eine Frau, die zur Stimme der deutschen Minderheit in Schlesien wurde.

Kindheit in Gleiwitz: Zwischen Krieg und Heimat

Geboren wurde Renate Zajączkowska 1931 als eines von sieben Kindern ihrer Mutter in eine deutsche Familie. Ihre ganze Familie lebte in Gleiwitz bis nach dem Krieg. Ihr Vater kam in russische Kriegsgefangenschaft, ihre Mutter entschied jedoch, nach dem Krieg nicht zu fliehen – aus verschiedenen Gründen.

„Wir wussten ja zuerst einmal nicht, wohin. In Gleiwitz hatten wir ein Dach über dem Kopf, wir hatten die Oma, die auch schon über 80 war, und meine Mutter hatte drei minderjährige Kinder. Meine kleine Schwester, die war zu dem Zeitpunkt sechs Jahre alt, war sehr krank, sie hatte eine Rippenfellentzündung. Aber der Chefarzt musste sie aus dem Krankenhaus entlassen, weil er nicht wusste, ob es nicht bald zu einem Lazarett umfunktioniert wird. Und da wir auch nicht direkt gezwungen wurden auszureisen, sind wir dann in Gleiwitz geblieben“, erinnert sie sich.

Renate Zajączkowska in ihrem Wohnzimmer.
Foto: F.L.

Sowohl Renate Zajączkowska als auch ihre Mutter und Geschwister blieben also in Gleiwitz und bauten sich dort ein neues Leben auf. Sie mussten nun aber Polnisch lernen, was für sie zuerst sehr schwer war. Dabei half es ihr jedoch, dass ihre Mutter schon immer gerne Zeitung gelesen hatte und das auch weiterhin tat. Da es nun aber keine deutschen Zeitungen mehr gab, sondern nur polnische, fingen sie an, aus den Zeitungen zu lernen, damit sie informiert und auf dem neuesten Stand blieben. Ihre deutsche Identität legte Renate Zajączkowska aber nicht ab, wie sie selbst sagt:

„Wir haben uns immer deutsch gefühlt. Wir haben deutsch gedacht. Ich habe sogar Deutsch geträumt. Und das war wichtig. Nach außen hin haben wir Polnisch gesprochen und Polnisch gelebt. Wir haben also auch vieles von den Polen angenommen.“

Deutsche Gottesdienste und Tanzabende

Bis zu ihrer Hochzeit arbeitete Renate Zajączkowska als Buchhalterin in Gleiwitz, selbst als einige ihrer Geschwister und auch ihre Eltern in die BRD zogen. 1957 heiratete sie dann ihren Ehemann, einen über 20 Jahre älteren Lehrer. Dieser hatte selbst polnische Wurzeln, versuchte jedoch nie, ihre deutsche Identität zu unterdrücken. Renate konnte mit ihm sogar Deutsch sprechen, da er bereits vor dem Krieg als Lehrer tätig war. Zusammen mit ihm zog sie nach Breslau, wo sie auch zwei Töchter bekamen, die sie zweisprachig – auf Deutsch und Polnisch – erzogen.

Dort hatte sie auch wieder mehr Kontakte mit der deutschen Minderheit, denn anders als in Oberschlesien wurden in Breslau noch immer deutsche Gottesdienste abgehalten. Diese Gottesdienste halfen ihr, ihre Identität zu bewahren und auch neue Kontakte zu knüpfen:

„Jeden Sonntag um 10 Uhr gab es eine deutsche Messe. Die gab es auch zu Geburtstagen, und einmal im Monat noch Treffen. Das war so schön, zu sehen: Hier ist noch eine Deutsche, da ist noch ein Deutscher. Viele von denen waren auch zuerst nach Breslau gezogen, aus Oberglogau oder aus Ratibor.“

„Wir haben uns immer deutsch gefühlt. Wir haben deutsch gedacht. Ich habe sogar Deutsch geträumt. Und das ist wichtig.“
Renate Zajączkowska

Neben den Gottesdiensten gab es auch Tanzabende, zu denen sie gerne ging. Die deutsche Minderheitenorganisation, die damals schon in Breslau existierte und ein Ableger von Waldenburg war, besuchte Renate anfangs noch nicht, da sie mit der Erziehung ihrer Töchter beschäftigt war. Trotzdem begann sie, ihre nach Deutschland gezogenen Geschwister zu besuchen – jedoch immer nur allein. Obwohl sie gerne auch in Deutschland geblieben wäre, kehrte sie immer nach Breslau zurück, zu ihrem Mann und ihren Kindern. Dort war es nicht immer so leicht, denn sie war in der Nachbarschaft nur bekannt als „die Deutsche“.

„Wir haben schon lange dort gewohnt, und trotzdem wurde immer gesagt: Wo ist denn der Schlüssel? Bei der Deutschen. Alle wussten, dass ich deutsch geboren wurde und deutsch bin. Auch nach meiner Hochzeit wurden wir nie eingeladen – man sagte nur: ‚Mein Mann hat eine Deutsche geheiratet.‘ Man war dann der Außenseiter, und das war nicht immer einfach“, erzählt Renate Zajączkowska von der Anfangszeit in Breslau. Und trotzdem wollte sie ihr deutsches Erbe nicht aufgeben und begann sogar, bei der Organisation der deutschen Minderheit in Breslau tätig zu werden.

Anfänge in der deutschen Minderheit

Als ihre Töchter noch kleiner waren, konnte sie sich nicht in der deutschen Minderheit organisieren – es fehlte ihr einfach an Zeit. Nachdem ihre Töchter größer geworden waren, meldete sie sich bei der Organisation der deutschen Minderheit in Breslau. Diese war zu dem Zeitpunkt noch ein Ortsverein der eigentlichen Organisation, die ihren Hauptsitz in Waldenburg (Wałbrzych) hatte. Wirklich voran ging es mit der Minderheitenarbeit aber erst nach der Wendezeit, also ab 1989.

Zusammen mit dem damaligen Vorsitzenden, Herrn Friedrich Petrach, bemühte sich Renate Zajączkowska darum, die Organisation in Breslau selbstständig zu machen. Dazu fingen sie auch vermehrt an, sich nach Deutschland und an die verschiedenen Landsmannschaften und Vertriebenenverbände in Deutschland zu wenden. 1992 wurden sie dann offiziell zugelassen und konnten sich dank der Förderung aus Deutschland auch ein Haus als Vereinsgebäude kaufen.

Renate Zajączkowska und ihre Tochter bei sich zuhause.
Foto: F.L.

„Und dort hatten wir dann auch viel mehr Möglichkeiten. Ich habe zum Beispiel eine große Kleiderkammer geführt, mit vielen Sachen, die wir aus Deutschland zugeschickt bekamen. Aber auch Lebensmittel oder Hygieneartikel haben wir bekommen, und die haben wir an die bedürftigen Leute verteilt. Denn viele Deutsche erhielten nur sehr kleine Renten, da ihre Arbeitszeit vor dem Krieg nicht angerechnet wurde.“

Der ehemalige Vorsitzende Friedrich Petrach rief dann auch den „Sozialausschuss“ ins Leben, den Renate Zajączkowska und fünf weitere Frauen zusammen führten.

Vorsitz der Wohltätigkeitsgesellschaft der deutschen Minderheit und DSKG Breslau

Schon im Jahr 1996 gründete sie die Wohltätigkeitsgesellschaft der Deutschen in Schlesien mit, deren Vorsitz sie von 2003 bis 2021 innehatte. Als Vorsitzende vergrößerte sie die Gesellschaft so weit, dass sie heute um die 500 Zweigstellen in ganz Polen unterhält. Ihre Aufgabe als Vorsitzende sah sie darin, den Bedürftigen zu helfen – und das war auch ihr größter Wunsch:

„Ich wollte vor allem den Armen helfen, denn als Kind hatte ich immer so großen Hunger. Wenn jemand zu uns kam, hatte ich deswegen auch immer was zu verschenken da. Und auch so haben wir regelmäßig Lebensmittel, Kaffee oder auch Kosmetika bekommen, die haben wir dann aufgehoben. Und wenn jemand kam und uns sagte, er hat kein Geld, sich Duschmittel zu kaufen, dann haben wir ihm welche gegeben. Das war meine Form der Hilfe“, erinnert sich Renate.

Die Lebensmittel und Sachen, die sie verteilte, kamen zumeist von Spenden von Privatpersonen oder in Form von staatlicher Unterstützung aus Polen und Deutschland. Ein besonderes Ereignis aus dieser Zeit war das Oderhochwasser 1997, erzählt sie. Damals bekamen sie sogar Hilfe aus anderen Ländern, teils auch östlich von Polen. Mit diesen Paketen konnten sie denjenigen, die ihr Zuhause verloren hatten, helfen – sei es mit neuen Lebensmitteln oder frischen Kleidern.

Ab dem Jahr 2008 übernahm Renate Zajączkowska zusätzlich den Vorsitz der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft (DSKG) Breslau und löste den damaligen Vorsitzenden Herrn Petrach ab. Obwohl sie schon damals über 70 Jahre alt war, hatte sie neue Pläne und Ziele, wie sie den DSKG weiterbringen wollte. Ihr erstes Ziel war es, die Organisation weiter zu vergrößern und ihr mehr Bedeutung zu verleihen. Dazu veranstaltete sie auch das Kulturfestival der deutschen Minderheit in Breslau. Das war für sie eines der größten Ereignisse ihrer gesamten Laufbahn:

„Es kamen so viele Menschen in die Jahrhunderthalle, die eigentlich auch gar nichts mit der deutschen Minderheit zu tun hatten! Viele Polen kamen und haben uns bewundert für all die schönen Sachen, die wir mit so wenig Unterstützung zustande gebracht haben. Es war so ein schönes Fest, wir haben es zweimal hier in Breslau durchgeführt, und immer kamen die Busse aus Deutschland und den verschiedensten Regionen Polens.“

Neben den großen Festivals wie dem Kulturfestival der deutschen Minderheit veranstalteten sie auch kleinere, wie zum Beispiel Deutschunterricht und verschiedene Ereignisse für die Kindergruppen. Besonders gerne denkt Renate Zajączkowska dabei an all die Menschen zurück, die sie immer unterstützt haben:

„Ich denke noch immer positiv an die Arbeit zurück. Die Menschen haben mir vertraut, und ich konnte ihnen vertrauen. Wir hatten sehr viel Kontakt mit den Deutschen in Breslau und den Landsmannschaften in Deutschland.“

Das Leben nach der offiziellen Tätigkeit

Im Jahre 2019 gab sie den Vorsitz des DSKG in Breslau ab, und im Jahre 2021 hörte Renate Zajączkowska auch als Vorsitzende der Wohltätigkeitsgesellschaft der Deutschen in Schlesien auf – im Alter von 90 Jahren. Tätig ist sie trotzdem immer noch, nur mittlerweile von zuhause, da sie nicht mehr unterwegs ist.

Viele Erinnerungen behält sie sich frisch wie am ersten Tag.
Foto: F.L.

„Ich bin noch tätig, weil ich mich noch immer gut fühle. Ich will meine Zeit nicht vergeuden, bloß gut nutzen. Heute stricke ich Socken für Bedürftige; die Wolle bekomme ich von der Tochter eines alten Bekannten zugeschickt. Ich habe für den September bereits über 50 Paar Socken gestrickt, für Kinder und Erwachsene. Diese verteilen wir dann in der Suppenküche und bei den Franziskanern. Das Geld kommt diesen dann auch zugute.“

Auch wenn Renate Zajączkowska ihre Wohnung nur noch selten verlässt, hält sie viel Kontakt mit den Menschen, die sie im Laufe ihrer Zeit in der deutschen Minderheit getroffen hat. Sie bekommt regelmäßig Grüße und Glückwünsche von den Landsmannschaften und dem ehemaligen deutschen Konsul in Oppeln. Noch mehr Bilder an der Wand ihres Wohnzimmers zeugen von den wichtigen Personen, die sie zusätzlich getroffen hat: darunter zum Beispiel die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.

Wünsche für die Zukunft

Für die deutsche Minderheit wünscht sie sich, dass sich die Mitglieder wieder mehr dazu bekennen. „Ich wünsche mir auch, dass sich die deutsche Minderheit wieder mehr traut. Es tut mir weh, dass wir keinen Vertreter der Minderheit mehr im Sejm haben. Früher waren die Menschen neidisch, dass es jemanden gab, der mehr Geld verdient hat – das war schlimm. Dabei hätten wir stolz sein müssen, dass wir einen deutschen Vertreter im Sejm hatten!“

Ihre eigenen Töchter hat sie auch auf Deutsch erzogen, und sie ist stolz darauf, dass ihre Töchter heute besser Deutsch verstehen als sie selbst, wie sie sagt. Heute können alle in ihrer Familie Deutsch und Polnisch sprechen. Zuletzt freute sie sich darüber, als ihre Enkelin sagte, dass sie bei der letzten Volkszählung angegeben hat, dass sie deutsch ist.

Und das wünscht Renate Zajączkowska sich auch für die Jugend der deutschen Minderheit: „Ich wünsche mir, dass sie das Deutschsein im Herzen tragen. Sie müssen sich nicht zwingend nach außen bekennen, aber es ist wichtig, dass sie selbst danach leben.“

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