Bücher des VdG: „Grunowen oder Das vergangene Leben“

wochenblatt.pl 2 godzin temu
Zdjęcie: Bei der Ausgabe der Kleinen Bibliothek des VdG handelt es sich um eine zweisprachige Version des Romans. Foto: Victoria Matuschek


Ein Roman über die Rückkehr – und das, was sich nicht zurückholen lässt

Arno Surminskis Roman „Grunowen oder Das vergangene Leben“ ist mehr als eine nostalgische Rückschau – er ist ein vielschichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der ostpreußischen Nachkriegsgeschichte. Im Mittelpunkt steht die Reise zweier Männer, Felix Malotka und Werner Tolksdorf, die in der Rückkehr in das ehemalige ostpreußische Grunowen nicht nur ihre persönliche Vergangenheit aufleben lassen, sondern sich auch mit kollektiven Erinnerungen, Verlusten und offenen Wunden konfrontieren.

Einladung zur Erinnerung – Handlung und Hintergrund

Der Roman beginnt mit einer Einladung: Felix Malotka, ehemaliger Kutscher auf einem ostpreußischen Gut, feiert in der Lüneburger Heide seinen 80. Geburtstag. Eingeladen sind Menschen, die einst mit ihm in Grunowen lebten – darunter auch Werner Tolksdorf, Jurist im Ruhestand und Sohn des damaligen Gutsbesitzers. Die Feier wird zum Auslöser für eine gedankliche und schließlich reale Rückkehr in die verlorene Heimat.

Die Fahrt, auf die sich Malotka und Tolksdorf nach der Feier begeben, führt sie durch Masuren – zu Orten, Erinnerungen und Fragen. Es ist keine reine Spurensuche, sondern eine Konfrontation mit dem, was über Jahrzehnte verdrängt oder vergessen wurde. Die Auseinandersetzung wird dabei nicht nur geographisch, sondern vor allem innerlich bedeutsam – ein Nachdenken über Geschichte, Identität und den eigenen Lebensweg.

Surminskis „Grunowen“ ist ein leiser, eindringlicher Roman über die Rückkehr in eine verlorene Heimat und die Kraft der Erinnerung im Angesicht des unwiederbringlich Vergangenen.
Foto: Victoria Matuschek

Erinnerung als Lebensform – was war, bleibt

Beide Männer bringen unterschiedliche Perspektiven mit: Für Tolksdorf steht der Konflikt mit dem eigenen Vater und die persönliche Vergangenheit im Vordergrund. Für Malotka hingegen sind es größere Themen wie Geschichte, Heimatverlust und Vergänglichkeit, die ihn beschäftigen. In einem Satz fasst er seine Haltung zusammen: „Wir können uns kein neues Leben machen, deshalb leben wir das vergangene nach, erinnern und wiederholen es.“

Die Begegnungen auf der Reise verändern beide – nicht nur durch das, was sie sehen, sondern vor allem durch das, was sie erneut empfinden: „Auch fahren wir nicht nur zur sonnigen Vergangenheit, uns wird auch viel Trauriges, das wir längst vergessen haben, wieder begegnen. Eine sonderbare Reise, und wenn wir wiederkommen, sind wir andere Menschen.“ Tolksdorf bestätigt dies am Ende: „Ich komme nun doch als ein anderer heim.“

Zwischen Heimatliebe und politischer Ernüchterung

Besonders eindrücklich schildert Surminski die Geburtstagsfeier als Mikrokosmos unterschiedlicher Erinnerungshaltungen. Während einige Gäste sich mit dem Verlust abgefunden haben, hoffen andere weiterhin auf eine Rückgewinnung Ostpreußens. So äußert ein Gast voller Ernst: „Und wenn später, vielleicht in hundert Jahren, Ostpreußen wieder deutsch wird, brauchen wir Dokumente.“ Er zieht das Testament seines Vaters hervor, das das Grundstück in Grunowen weitervererbt. Auch er selbst möchte diesen Willen fortsetzen: „Die Kette soll nicht reißen, sie soll weitergereicht werden von Generation zu Generation. Wir geben nicht auf.“

Ein bewegender Roman über Flucht, Heimatverlust und das nie endende Echo der Vergangenheit.

Tolksdorf hingegen distanziert sich von jeglichen politischen Rückforderungen. Ihm geht es nicht um Besitz oder Rückgabe, sondern um das, was innerlich bleibt – oder verschwindet: „[…] wenn ich diesen Menschen sage, dass mich Grunowen nichts angeht, dass mir die unverzichtbaren Ansprüche nichts bedeuten, mein Haus über der Stadt wichtiger ist als mein Gut in Masuren – sie werden es nicht begreifen.“

Literarische Erinnerung statt historischem Anspruch

Surminski arbeitet mit fiktiven Figuren und einer erfundenen Reise, die jedoch eng mit historischen Ereignissen, realen Orten und Persönlichkeiten verknüpft ist. Viele Erlebnisse seiner Protagonisten spiegeln die Erfahrungen des Autors selbst wider, der als Kind aus Ostpreußen fliehen musste. Diese Verbindung von persönlichem Erleben und literarischer Gestaltung verleiht dem Roman eine besondere Authentizität – ohne ihn zur Autobiografie zu machen.

Der Autor verleiht in seinem Roman nicht einer Ideologie Stimme, sondern der Vielstimmigkeit des Erinnerns. Die Rückkehr nach Grunowen ist keine Heldengeschichte, sondern eine stille Annäherung an das, was war – und nicht mehr ist. Der Roman zeigt: Erinnerung ist individuell, widersprüchlich und oft schmerzhaft.

Der Satz „Ostpreußen ist versunken, es lebt nur noch in unseren Köpfen“ klingt wie ein bitteres Resümee – doch Surminski formuliert ihn nicht resigniert, sondern als Erkenntnis: Die Vergangenheit ist nicht rückholbar, aber sie verdient es, bewahrt zu werden.

Bei der Ausgabe der Kleinen Bibliothek des VdG handelt es sich um eine zweisprachige Version des Romans.
Foto: Victoria Matuschek

Ein literarisches Zeugnis gegen das Vergessen

„Grunowen oder Das vergangene Leben“ ist ein poetisch verdichtetes, zugleich dokumentarisch wirkendes Stück Erinnerungsarbeit. Der Roman verwebt persönliche Erfahrung mit kollektiver Geschichte, schildert masurische Landschaften, Bräuche und Konflikte, ohne ins Idyllische zu verfallen. Wie in vielen Werken Surminskis wird das Bild Ostpreußens nicht verklärt, sondern mit all seinen Widersprüchen gezeichnet: als Heimat und Projektionsfläche, als Trauma und Identitätskern.

Surminski urteilt nicht, sondern lässt seine Figuren sprechen – in ihrer Verletzlichkeit, ihrer Hoffnung, ihrem Zweifel. Damit fügt sich Grunowen ein in jene Literatur, die nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit leiser Genauigkeit ein kollektives Gedächtnis offenhält. So wird aus Erinnerung Literatur – und Literatur wird zum Ort, an dem Vergangenes weiterlebt.


Der Roman „Grunowen oder Das vergangene Leben“ erschien 2015 in deutscher und polnischer Sprache in der Kleinen Bibliothek des VdG und ist im Sitz des VdG oder unter [email protected] erhältlich.

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